Silber-Krimi Nr. 851: Schreie aus dem Sarg
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Sie war beschwipst, als sie, das Glas in der Hand, auf den Balkon wankte.
Aus dem riesigen Saal hinter ihr, erklang das Lachen fröhlicher Menschen.
Nanette atmete tief die milde Luft ein. Der Boden unter ihr schien sich
wellenförmig zu bewegen. Sie merkte nicht, wie sich schattengleich eine
Gestalt neben dem schweren, mit Goldfäden durchwirkten Vorhang bewegte
und ungesehen von den anderen geladenen Gästen ebenfalls auf den Balkon
huschte. Eine Hand legte sich auf ihren Mund. Nannette wollte blitzartig
herumwirbeln und schreien - doch nur ein dumpfes Gurgeln kam über ihre
Lippen. Zu schwach, zu leise, um im Trubel des Festes gehört zu werden.
Das Champagnerglas entglitt ihren verkrampften Fingern und fiel über
die Balkonbrüstung siebzehn Stock in die Tiefe. Nanette wurde von starken
Armen über den Boden geschleift. Sie war unfähig, sich zu bewegen.
Die Benommenheit nahm zu, ihre Glieder wurden schwer. Die Hand auf ihrem
Mund! Sie atmete die betäubenden Dämpfe ein, die den Poren der
Handinnenfläche entströmten ...
von Dan Shocker, erschienen am 25.08.1970, Titelbild: R.S. Lonati
Rezension von
Benfi:
Kurzbeschreibung:
In Conakry/Guinea verschwinden die Töchter von bessergestellten Familien
und werden ein paar Tage später tot aufgefunden. Da es sich bei diesen
Familien zumeist um der weißen Rasse zugehörigen Menschen handelt,
vermutet die Polizei sowie auch die PSA, welche schon im Hintergrund an diesem
Fall arbeitet, daß hinter diesen Tötungen die sagenumwobene
Organisation "Gnamous" steckt. Diese möchte die Weißen aus ihrem
Land, ja sogar vom Kontinent Afrika vertreiben. Und wie es bei dieser
Organisation üblich ist, werden die Opfer zu lebenden Toten gemacht,
was zur Folge hat, daß die Personen ohne sich auch nur zu rühren
ihre eigene Beerdigung mitbekommen. Werden sie aber nicht beerdigt, wandeln
sie als Untote umher und attackieren ihre Mitmenschen! So soll es auch bei
Nanette Luison geschehen, welche von einer Party ihrer Eltern entführt
wird! Gefunden wird nur noch ihre Leiche. Dann allerdings bedroht man ihren
Vater und drängt ihn, die Tochter schnell zu begraben. Da schreitet
Larry Brent ein. Er verschiebt alle Beerdigungspläne und versucht an
die Anführer der geheimnissvollen Organisation zu kommen, um Nanette
eventuell doch noch zu retten. Gleichzeitig soll in Epernay/Frankreich die
ebenfalls in Guinea verstorbene Charlene Simonelle beigesetzt werden. Doch
durch einen Schrei aus ihrem Sarg wird die Zeremonie verschoben. Und
tatsächlich erhebt sich Charlene wieder und greift ihre Familie an.
Wie kann man diese gefährlichen Attacken von "Gnamous" stoppen und wer
ist der Anführer?
Meinung:
Der erste Roman, in dem sich Dan Shocker sich mit dem Thema des Untotseins
abgibt. Die Variante davon in diesem Roman ist - wie viele andere auch -
aus Afrika und ähnelt dementsprechend dem klasssischen Voodoo. Allerdings
hat der gute Dan hier völlig daneben geschossen. Sehr langatmig baut
er hier die Handlung auf, welche dann auch noch ohne großen Knall endet.
Genauer ausgedrückt hat der Roman keinen wirklichen Höhepunkt,
auf den die Geschichte hinauszielt. Schlimmer noch: der komplette zweite
Handlungsstrang in Frankreich ist zwar gut geschrieben und hat durchaus einige
gruselige Passagen, doch ist innerhalb der gesamten Story eigentlich völlig
überflüssig! Und mit der alleinigen Festnahme des Anführers
der Organisation dürfte eine solche Mächtige eigentlich kaum
resignieren und sich auflösen. Der bisher schwächste Larry Brent
Roman!
1 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Erstmalig wurde das Cover tatsächlich bei allen Auflagen des Romans
verwendet. Das liegt bestimmt daran, daß die Szene, aus der die mit
Pfeilen vollbespickte Frau aus dem Sarg steigt und der Medizinmann sie
beschwört, ziemlich genau so in dem Roman auftaucht. Allerdings ähnelt
die Dame auf dem Cover irgendwie einem Igel. Ein komischer Anblick!
Coverbewertung:
Rezension von
Egon der
Pfirsich:
Kurzbeschreibung:
In Conakry, der Hauptstadt der ehemaligen französischen Kolonie
Guinea in Westafrika, verschwinden die Söhne und Töchter gutsituierter
europäischer Familien und tauchen einige Zeit später vermeintlich
"tot" wieder auf. Das neueste Opfer ist die junge Französin Nanette
Luison. Hinter all diesen Vorfällen steht der rätselhafte Geheimbund
der "Gnamous", der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Europäer aus Guinea
zu vertreiben. Alle Opfer werden einem geheimnisvollen Ritual unterzogen,
das sie nicht tötet, sondern in einen rätselhaften scheintoten
Zustand versetzt. Werden sie daraufhin beerdigt, ist das ihr endgültiger
Tod, andernfalls würden sie sich, während sie tagsüber in
der totenähnlichen Starre verharren, nachts zu einem zombieähnlichen
Leben erwachen und Amok laufen. Dies geschieht in Frankreich, wo die junge
Charlene Simonelle, ein früheres Opfer der "Gnamous", vor ihrer Beerdigung
"erwacht" und in einem fürchterlichen Blutrausch ihre Mutter tötet.
Als der Vater des Mädchens zusammen mit dem Hausarzt der Sache auf dem
Grund gehen will, werden sie von den Mitgliedern der Gnamous bedroht, der
Arzt verliert dabei sein Leben. In Guinea selbst versucht Larry Brent, das
Rätsel zu lösen. Während Larry, nachdem er selbst in die
Hände der Gnamous geraten ist, mit Hilfe der Polizei und eines eingeborenen
Medizinmannes Nanette Luison retten kann, wird in Frankreich die amoklaufende
Charlene Simonelle von Polizisten erschossen.
Meinung:
Ich habe diese (ursprünglich nicht geplante) Rezension ganz spontan
verfaßt, nachdem ich ein wenig in den bereits vorhandenen Rezensionen
zu Larry Brent-Romanen geschmökert und dabei festgestellt habe, dass
zu "Schreie aus dem Sarg" bisher nur eine, und dazu noch sehr negative, Rezension
vorliegt. Mir hat dieser Roman jedoch gut gefallen, denn er bietet eine sehr
interessante Story. Ob man hier von einer Voodoo- oder Zombie-Geschichte
sprechen kann, würde ich bezweifeln, aber in diese Richtung geht es
schon in gewisser Weise. Jedoch wäre Dan Shocker nicht Dan Shocker,
wenn er nicht etwas Besonderes bieten würde, was sich von dem sonst
gebotenen Zombie-Eintopf wohltuend abhebt. Dieser Roman gehört ja noch
zum "Frühwerk" Dan Shockers (er war "erst" sein 21. Larry
Brent-Gruselkrimi), und zu diesem Zeitpunkt hatte die Magie noch keinen Fuß
in der Serie gefasst, sondern es herrschten pseudowissenschaftliche Themen
vor. Zombies wurden von Dan erst über ein Jahr und 14 Romane später
in "Orungu - Fratze aus dem Dschungel" (Silber-Krimi
Nr.
910 / Silber Grusel-Krimi
Nr.
35 - in der eigenständigen Larry Brent-Serie erschien dieser Roman
unverständlicherweise bereits vor "Schreie aus dem Sarg" als
Nr. 17)
erstmals eingeführt.
Ich halte diesen Roman thematisch für gelungen, weil originell und
interessant. Ich kann dem Vorrezensenten "Benfi" auch nicht zustimmen, dass
der Roman keine Höhepunkt hätte. Sicher gibt es einige Passagen
mit etwas Leerlauf, dazwischen aber auch immer wieder dramatische Szenen,
vor allem in den in Frankreich spielenden Passagen: etwa die Beerdigung Charlene
Simonelles und die anschließende Ermordung ihrer eigenen Mutter, die
Tötung des Hausmädchens Claudine und zuletzt Charlenes finaler
Amoklauf. Diese Passagen brauchen sich vor keinen anderen Horrorpassagen
im Werk Dan Shockers oder eines anderen Heftromanautoren zu verstecken, und
insbesondere der abschließende Amoklauf Charlenes, der mit ihrem Tod
endet, gehört für mich zu den packensten Szenen dieser Art: als
sie nach dem blutigen Amoklauf in den Armen ihres Vaters sirbt und dabei
ihren Verstand wiederfindet, ging mir das wirklich unter die Haut. Auch halte
ich die Frankreich-Episode nicht für überflüssig: sicher ist
sie nur lose mit der Haupthandlung in Guinea verbunden, aber sie zeigt auf,
was auch mit Nanette Luison und anderen Opfern der Gnamous hätte geschehen
können. Zu kritisieren wären hier nur die vielen offenen Enden:
auf den Tod Madame Simonelles und des Hausmädchens geht Dan Shocker
nicht mehr ein, und der Handlungsstrang endet abrupt und ohne wirklichen
Abschluß unmittelbar nach Charlenes Tod. Auch der Abschluß des
Romans in Guinea - da stimme ich Benfi zu - ist wenig aufregend und auch
nicht wirklich überzeugend. Ebenso wenig überzeugt das Motiv des
Haupträdelsführers Dr. Salifou Keita. Er habe aus "überspitzem
Rassebewußtsein" gehandelt, heißt es lapidar. Das ist als
Erklärung jedoch sehr dürftig und ist obendrein eine Steilvorlage
für ungerechtfertigte Angriffe politisch überkorrekter Personen,
die hier problemlos rassistische Ressentiments hineininterpretieren
könnten. (Dies zumindest in der heutigen Zeit, man darf aber nicht
übersehen, dass der Roman bereits 40 Jahre alt ist.) Trotz dieser
Kritikpunkte hat der Roman in meinen Augen deutlich mehr als 1 Kreuz verdient.
Dan Shocker hat sicherlich viele bessere Romane geschrieben, aber ich
könnte problemlos auch einige Dutzend Titel herunterbeten, die zum Teil
erheblich schwächer sind.
4 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Das Cover ist eines der frühesten Cover Lonatis für Dan Shocker
Romane. Es ist wie viele dieser frühen Cover in eher düsteren Farben
gehalten. (Später hat Lonati auch für Gruselromane oftmals deutlich
hellere und freundlichere Farben verwendet). Es paßt in jedem Fall
sehr gut zum Roman.
Coverbewertung:
Ein Zusatzhinweis zu dem Cover kommt von Michael Schick:
Das Motiv vom Titelbild dieses Romans wurde später auch noch auf dem
Cover des Geister-Schocker Romans Nr. 31 benutzt: