Vampir-Horror-Roman Nr. 290: Das Totenhaus am Meer

Vampir-Horror-Roman Nr. 290: Das Totenhaus am Meer


Der Sturm kam um halb acht. Sein Heraufziehen hatte sich schon lange vor dem Abendessen angekündigt. Die dräuenden Wolken und das allmählich zunehmende Klappern der Fensterläden hatten Tina Vancetti signalisiert, was sie erwartete. Wieder einmal näherte sich ihrem Leben die Stunde X. Tina versuchte so zu tun, als ob sie das nichts anginge. Schließlich war sie in England erzogen worden. Selbstdisziplin gehörte zu ihren nobelsten Tugenden. Sie verriet niemals Gefühle, die ihren Seelenzustand bloßlegten, aber vor jedem Sturm überfiel sie erneut das gleiche, panikartige Empfinden abgrundtiefer Todesangst. Tina versuchte sich einzureden, daß das unsinnig sei. Stürme gehörten in dieser Jahreszeit zum Rhythmus der Natur. Tina hatte mehr als zwei Dutzend davon unbeschadet überstanden. Sie betrat das im Erdgeschoß des alten Hauses gelegene Speisezimmer. Die Kerzen auf dem weiß gedeckten Tisch flackerten unruhig. Es schien, als bereiteten sie sich voller Nervosität auf ein Drama vor. Mrs. Gollwitzer, die Hausherrin, ließ noch auf sich warten. Die Tür zur Küche war nur angelehnt. Tina hörte, wie Esmeralda, die Köchin, mit Töpfen und Pfannen hantierte. Tina schaute sich in dem hohen, zur Meeresseite hin durch einen Erker erweiterten Raum um. Die mit dunklem Holz getäfelten Wände und die wuchtigen, mit Schnitzereien verzierten Deckenbalken gaben dem Zimmer einen düsteren Anstrich. Der schwere gußeiserne Kronleuchter über dem länglichen Tisch machte den Eindruck, als entstammte er dem Fundus einer alten Burg.


von Cedric Balmore, erschienen 1978, Titelbild: Vicente Segrelles