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Der Sturm kam um halb acht. Sein Heraufziehen hatte sich schon lange vor
dem Abendessen angekündigt. Die dräuenden Wolken und das
allmählich zunehmende Klappern der Fensterläden hatten Tina Vancetti
signalisiert, was sie erwartete. Wieder einmal näherte sich ihrem Leben
die Stunde X. Tina versuchte so zu tun, als ob sie das nichts anginge.
Schließlich war sie in England erzogen worden. Selbstdisziplin
gehörte zu ihren nobelsten Tugenden. Sie verriet niemals Gefühle,
die ihren Seelenzustand bloßlegten, aber vor jedem Sturm überfiel
sie erneut das gleiche, panikartige Empfinden abgrundtiefer Todesangst. Tina
versuchte sich einzureden, daß das unsinnig sei. Stürme gehörten
in dieser Jahreszeit zum Rhythmus der Natur. Tina hatte mehr als zwei Dutzend
davon unbeschadet überstanden. Sie betrat das im Erdgeschoß des
alten Hauses gelegene Speisezimmer. Die Kerzen auf dem weiß gedeckten
Tisch flackerten unruhig. Es schien, als bereiteten sie sich voller
Nervosität auf ein Drama vor. Mrs. Gollwitzer, die Hausherrin, ließ
noch auf sich warten. Die Tür zur Küche war nur angelehnt. Tina
hörte, wie Esmeralda, die Köchin, mit Töpfen und Pfannen
hantierte. Tina schaute sich in dem hohen, zur Meeresseite hin durch einen
Erker erweiterten Raum um. Die mit dunklem Holz getäfelten Wände
und die wuchtigen, mit Schnitzereien verzierten Deckenbalken gaben dem Zimmer
einen düsteren Anstrich. Der schwere gußeiserne Kronleuchter
über dem länglichen Tisch machte den Eindruck, als entstammte er
dem Fundus einer alten Burg.