Vampir-Horror-Roman Nr. 277: Der Flug des Ikarus
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Yves Coulliard stöhnte laut und öffnete langsam die Augen. Seine
Nasenflügel bebten. Er versuchte sich zu bewegen, doch seine Handund
Fußgelenke stecken in ledernen Schlaufen, die angezogen waren und
schmerzhaft in sein Fleisch einschnitten. Mühsam hob Yves den Kopf und
blickte sich um. Er lag auf einer Art Bahre. An seiner Brust und an seiner
Stirn waren Elektroden befestigt, von denen dünne Schnüre zu seltsam
geformten Apparaturen hinliefen. Der Raum, in dem er sich befand, war klein,
und die Wände waren weiß gestrichen. Sein Blick fiel auf ein junges
Mädchen, das eine Schwesterntracht trug und ihn anstarrte. "Wo bin ich?"
krächzte Yves Coulliard und riß an den Lederschlaufen. Die Schwester
antwortete nicht. Sie drehte sich um und stolzierte auf eine Tür zu.
"Warten Sie, Schwester!" kreischte Yves. Doch das Mädchen hörte
nicht auf ihn. Sie schloß hinter sich die Tür zu. Yves blickte
sich nochmals im Zimmer um. Die Apparate waren ihm unheimlich. Er sah eine
Skala, auf der in Sekundenabständen Punkte und Linien zu sehen waren.
Aus einem anderen Apparat glitt ein unendlich langer weißer Papierstreifen.
Er riß wieder an den Lederschlaufen, doch sosehr er sich auch
bemühte, er konnte sich nicht befreien. Nach ein paar Sekunden erkannte
er das Sinnlose seines Tuns und ließ den Kopf zurücksinken. Seine
gewaltige Brust hob sich rascher. Er schloß die Augen und atmete keuchend.
Eine bleierne Müdigkeit steckte in seinem Körper. Jeder Gedanke
und jede Bewegung fielen ihm schwer. Er versuchte sich zu erinnern, doch
es gelang ihm nur langsam.
von Neal Davenport, erschienen 1978, Titelbild: Vicente Segrelles
Rezension von
Adee:
Kurzbeschreibung:
Spoiler folgen: Professor Heyden ist
ein verrückter Wissenschaftler, der in Arles seine Menschenexperimente
durchführt. Gerade hat er dem entführten Yves das Gedächtnis
gelöscht und ihn mit einer unzerstörbaren Haut ausgestattet. Das
begeistert den Magus und seinen Dämon Lemuron. Als Heyden erwähnt,
dass er davon träumt, einen fliegenden Menschen wie Ikarus zu erschaffen,
lässt ihm der Magus ein paar magische Flügel zukommen, die Yves
tatsächlich fliegen lassen.
Derek Hammer, der Hexenhammer, Vesta, Red und der Vampiropa Napoleon Drakula
sind Heyden dicht auf den Fersen. Derek, der fleißig übt, sein
Hexenhammer-Überich bewusst aktivieren zu können, verfolgt den
Plan, Red und Nappy in die Klinik des Schurken einzuschleusen. Nappy für
eine Regenerationskur, während Red vorgeben soll, ein Werwolf mit
Verwandlungsschwierigkeiten zu sein.
Heyden durchschaut die Finte sofort, hypnotisiert Red und holt jede Information
über Hammer aus ihm heraus. Sogar die, dass Hammer in Wirklichkeit Joey
Crocker ist, der zum okkulten Superhelden Hexenhammer wird, neben dem Magus
der einzige Überlebende jener Séance, die vor über 20 Jahren
den Dämon auf die Welt holte. Heyden schickt seinen Ikarus los, um Hammer
zu entführen. Obwohl Ikarus anfängt bockig zu werden, seit er Lemurons
Flügel trägt. Und prompt geht etwas schief, denn er hält Vesta
für seine verlorene Liebe und entführt sie anstelle von Hammer.
Dafür wird er von Heyden in Ketten gelegt.
Hammer hat eine schreckliche Vision, in der Heyden sein Gehirn erfolgreich
in Ikarus´ Körper verpflanzt, während Nappy zum bösen
Vampir wird und über Vesta herfällt. Er versucht alles zu tun,
damit die Vision nicht eintrifft, aber er landet trotzdem auf dem OP-Tisch.
Der alte Nappy rettet den Tag, als er Red, Vesta und Ikarus befreit. Ikarus
läuft Amok und lässt Heyden vom Himmel fallen. Beim Tod des Professors
sterben auch sämtliche seiner Sklaven und die Klinik fliegt in die
Luft.
Meinung:
Das ist der letzte Roman von Kurt Luif für den Hexenhammer; angeblich
hat er noch ein paar Seiten für die Nummer 14 geschrieben, bevor er
endgültig das Handtuch warf und seine Coco Zamis-Taschenbücher
schreiben konnte. Auch wenn ihm die Serie -(verständlicherweise)- nicht
lag, dürfte das wohl der bis jetzt beste Roman der Serie sein. (Was
ihn immer noch zu einem durchschnittlichen Gruselroman macht) Die Handlung
ist zwar nicht besonders originell und Heyden eher ein durchschnittlicher
Mad Scientist, aber Luif weiß alles spannend in Szene zu setzen. Die
Idee mit dem Ikarus, der nur mit Hilfe von Magie fliegen kann, ist gut
ausgearbeitet. Hammers apokalyptische Vision, in der die Bösen die Sieger
sind und Hammers Team im Handumdrehen auslöschen, ist eindringlich
erzählt und lässt erahnen, was der Hexenhammer unter anderen
Voraussetzungen hätte sein können. (Es ist ganz interessant, wenn
man diesen Roman mit dem Vampir Horror Roman
Nr. 13 vom selben Autor vergleicht,
wo es ebenfalls um ein Monster mit Kunsthaut ging. Da liegen Welten zwischen.)
Und endlich werden Hammers Fähigkeiten bewusst weiter ausgebaut, statt
immer nur darüber zu reden.
Auch bleibt man sich des Konzepts mit dem Eurohorror treu und lässt
die Hammer-Mannschaft weiter durch Europa reisen. Letztlich bleiben die
Ortsbeschreibungen an der Oberfläche und sind für die Handlung
unerheblich, aber ein gewisses europäisches Flair kann man dem Ganzen
nicht absprechen. Vor allem, wenn sich Red durch die lokale Speisekarte frisst,
die definierende Eigenschaft der Figur, auf die sich jeder Autor dankbar
gestürzt hat. In keiner anderen Serie saßen die Leute so oft beim
Essen und erklärten dabei dem Leser die Handlung :-)
Besonderheiten:
- Hexenhammer Nr. 7
2 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Ein schönes Cover. Atmosphärisch dicht, passt perfekt zum Titel
und zum Inhalt.
Coverbewertung:
Ein Zusatzhinweis zu dem Cover kommt von Michael Schick:
Das geflügelte Monster wurde später auch noch auf dem Cover des
Silber-Grusel-Krimis Nr. 371 verwendet: