Vampir-Horror-Roman Nr. 268: Im Schatten des Fallbeils

Vampir-Horror-Roman Nr. 268: Im Schatten des Fallbeils


Alles war für die Beschwörung vorbereitet. In den Mauernischen standen hohe silberne Kandelaber, dicke Wachskerzen steckten in ihren Tulpen. Der fünfzackige polierte Tisch inmitten des düsteren Raumes glitzerte, als Louis Morell taumelnd wie ein Berauschter von Kerze zu Kerze wankte und sie mit einem brennenden Span entzündete. Eiseskälte lag mit 'einemmal über allem. Die Kerzenflammen standen unbeweglich, ihr Schein war plötzlich anders als zuvor: Ihre Lichter schienen keine Helligkeit mehr zu verbreiten. Es war, als könne man die Flammen abbrechen von den Dochten wie dürre Ähren, so leblos, so gläsern wirkten sie. Die alten Ölporträts ringsum an den Wänden wirkten wie schwarze Schlünde, wie Eingänge durch die dicken Mauern hindurch und hinab zu finsteren Gelassen, von denen es sehr viele im Haus gab. Ein geisterhaftes Raunen war im Zimmer, warnend und verlockend zugleich. Dass Geister mit im Spiel waren, wußte Louis Morell schon lange. Bereits wenige Tage nachdem er sich mit seiner Mutter in das geheimnisvolle Haus des Magiers Giacomo Cagliostro geflüchtet hatte - in ein Haus, das seit Jahren leer stand und von allen Leuten gemieden wurde , waren seltsame, unerklärliche Anzeichen geisterhafter Wesenheiten zu spüren gewesen. Ein kurzes, trockenes Klopfen, das schnell verhallte, als stäche man mit einem Zirkel in Holz; ein reißendes Knacken und Prasseln in Wänden und Schränken, in Balken, Tischen und anderen Hausgeräten; ein Kommen und Gehen von Schritten unsichtbarer Boten und ein Seufzen und hastiges Flüstern, das jäh verstummte, wenn man aufhorchte. Besonders in der zweiten Stunde nach Mitternacht wurde das gespenstische Leben deutlich.


von Georges Gauthier, erschienen 1978, Titelbild: ???