Occu Nr. 43: Im Blutstollen gefangen

Occu Nr. 43: Im Blutstollen gefangen


Eisiger Wind peitschte durch die Wipfel des dunklen Tanns. Der Herbststurm wurde stärker. Er riß an den Fensterläden und fuhr jaulend unter die Schindelabdeckungen an den Hauswänden. Die meisten Menschen im Dorf gingen früh schlafen. Nur in der Gaststube neben dem Bergwerksmuseum brannte noch Licht. Die niedrigen Räume machten einen verlassenen Eindruck - bis auf die Nische neben dem Tresen, in der eine seltsame Gruppe an einem blankgescheuerten Holztisch saß. Eine junge Frau und fünf Männer starrten schweigend auf halbgeleerte Gläser und überquellende Aschenbecher. Sie lauschten dem Orgeln des Sturms und hingen ihren Gedanken nach. Plötzlich richtete sich ein etwa dreißigjähriger Mann mit langen, hellblonden Haarsträhnen seufzend auf. "Totensonntag im Harz", stieß er hervor. "Das kann auch nur uns passieren ... " Sofort kam Bewegung in die Gruppe. "Sei froh, daß überhaupt noch eine Kneipe auf hat", sagte die junge Frau. Sie strich sich ihre braunen, glatt auf die Schultern fallenden Haare zurück. Im Licht der Kerzen besaß ihr Gesicht etwas Madonnenhaftes. Die kleinen Falten um die Mundwinkel ließen sie jedoch älter aussehen als sie war. "Noch eine Runde!" rief der blonde Kameramann.


von Thomas R. P. Mielke, erschienen im August 1979, Titelbild: ???