Monstrula Nr. 9: Die Pest braucht keinen Paß

Monstrula Nr. 09: Die Pest braucht keinen Paß


Ich bin kein junges Mädchen mehr, dachte Ella, während sie sich im Spiegel betrachtete, vor dem sie nackt stand. Mit Zweiunddreißig war sie eine voll erblühte Frau mit einem schönen, faltenlosen Gesicht, wunderbaren Brüsten, schmaler Taille und verlockend gerundeten Hüften. Sie rieb ihre langen sonnengebräunten Schenkel aneinander. Mit einem zufriedenen Lächeln nickte sie sich im Spiegel zu. Auch wenn sie mit Henry schon oft zusammengewesen war, so fürchtete sie nicht, ihn in der Hochzeitsnacht zu enttäuschen. Sie hielt nichts von romantischjungfräulichen Bräuten - bei ihr auch nicht möglich als geschiedener Frau und Witwe -, doch sie fühlte, daß diese erste Nacht ihrer zweiten Ehe mit Henry Moorfield etwas Besonderes werden sollte. Mit langsamen erotischen Bewegungen streifte sie sich das schwarze Spitzenneglige über und streckte gerade ihre Hand nach dem schwarzen Slip aus, als sie eine leise Stimme hörte. "Ella", wisperte es hinter ihr. "Ella!" Verärgert drehte sich Ella Moorfield um. Sie wollte Henry überraschen. Was fiel ihm ein, zu ihr ins Badezimmer zu kommen? Er hatte versprochen, auf sie im Schlafzimmer zu warten. Verwundert schüttelte sie den Kopf, daß ihre schwarzen Haare ins Gesicht fielen. Das Badezimmer war leer, sie mußte sich getäuscht haben. Sie lächelte über sich selbst. Wie hätte Henry auch das Badezimmer betreten sollen, wo sie doch die Tür abgeschlossen hatte. Erneut drehte sich die Frau zum Spiegel und griff nach der Haarbürste, als sie die Stimme wieder hörte.


von M.R. Richards, erschienen am 23.12.1974, Titelbild: Olof Feindt
Rezension von Adee:


Kurzbeschreibung:
Ella Moorfield ist 32 und hat gerade das zweite Mal geheiratet. Ihre Hochzeitsnacht soll etwas Besonderes werden. Sie wird eine Katastrophe. Ella hört die Stimme ihres toten Mannes Alex und wird hysterisch.
Jack Callum lernt kurz darauf ihren neuen Mann kennen. Moorfield hat die Leitung der St.John-Press übernommen, die von Ellas Ex aufgebaut wurde. Nach einer bösen Scheidung bekam Ella die Druckerei und Alex St.John starb in Brasilien an der Pest. Als Callum die schöne Ella kennen lernt, die mit den Nerven am Ende ist, erkennt er mit seinen besonderen Fähigkeiten sofort, dass sie von dem Geist ihres toten Mannes terrorisiert wird. Alex erscheint ihr immer wieder und kündigt ihr an, dass auch sie qualvoll an der Pest sterben wird wie er.
Eine Katastrophe jagt die nächste. Die Druckerei brennt nieder, Moorfield landet im Krankenhaus mit einer Rauchvergiftung. Dort lässt ihn der Geist im Bett verbrennen. Callum muss ansehen, wie bei Ella die Pest ausbricht. Als davon die Presse erfährt, herrscht Panik in London. Die Behörden suchen Callum, um ihn in Quarantäne zu stecken. Aber der Reporter flüchtet und sucht Hilfe bei seinem alten Mentor, dem pensionierten Reporter Whitey Dyson, und offenbart sich ihm.
Geschützt von seinem magischen Ring tritt der Geisterseher gegen den Dämon an. Zuerst scheint er den Sieg davonzutragen. Ella wird gesund, der Fluch scheint gebrochen. Jack und sie werden ein Paar. Aber dann entdeckt er im Spiegel die erste Pestbeule ...


Meinung:
Auch in diesem Roman kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der Autor vorher nur rudimentäre Gedanken gemacht, wie er die Geschichte zu Ende bringen will. Das letzte Drittel ist mit Handlung überfrachtet, und das melodramatische Ende erinnert an griechische Tragödien, aber auf den paar Seiten, die dann noch übrig sind, mag sich die Wirkung nicht so richtig entfalten.
In diesem Roman beginnt der Autor mit dem Aufbau der unvermeidlichen Helferlein-Truppe, die jeden Serienhelden begleitet, damit es nicht langweilig wird. Zwar ergibt sich die Einführung von Whitey Dyson nicht gerade zwingend aus der Handlung; er hätte genauso gut im Roman davor oder danach seinen ersten Auftritt haben können. Aber der Anfang ist damit gemacht.
Auch hier bleibt Richard Wunderer seinem Konzept treu, das so bewusst anders als das der damaligen Konkurrenz ist. Wieder will sich ein Dämon rächen und zerstört darum das Leben von ein paar Menschen, und der Held hetzt verzweifelt hinterher und kann am Ende das Unheil nicht aufhalten. Die schöne Ella erfährt von Callums vermeintlichem Tod bei einem Flugzeugabsturz und hängt sich auf, was dann den Fluch bricht und Jack vor der Pest rettet. Es hat ja immer etwas Tragisches, wenn die Freundin des Helden am Ende der Handlung zum Opfer fällt, aber zwei Wochen hintereinander? Das muss selbst für unseren Geisterseher ein neuer Rekord sein :-)
Trotzdem liest sich die erste Hälfte recht spannend und weist gelungene gruselige Szenen auf, wenn der heimtückische Rachegeist mit Begeisterung das Leben seiner Ex demontiert. Das ist schon eine Abwechslung zu dem coolen Privatdetektiv mit den magischen Waffen, der durch irgendwelche Dimensionen hüpft, die bösen Dämonen vernichtet und zum Essen pünktlich zu Hause ist. Andererseits gönnt man Jack Callum langsam mal einen Sieg, denn das ewige düstere Ende in Serienform wird dann auch irgendwann langweilig. Die Mischung macht es eben.


Besonderheiten:
Erster Auftritt von Whitey Dyson, dem pensionierten Reporter


3 von 5 möglichen Kreuzen:
3 Kreuze


Kommentare zum Cover:
Zwei Pickel auf der Stirn machen noch keine Pest, dafür macht der Titel neugierig auf den Roman. Trotzdem als Titelbild eher Durchschnitt.


Coverbewertung:
2 Kreuze